Filmen statt Meditieren
Filmen heisst für mich konstantes Beobachten und ‚Sich-Bewegen im Augenblick‘. Am liebsten filme ich lange Takes ohne Stativ & ohne die manipulierende Kraft des Schnitts. Ich beobachte Handlungen, lasse diese Handlungen auf mich zurückwirken und reagiere darauf mit einem Kameraschwenk, einem Perspektivwechsel, einer Änderung der Shotgrösse – bis die grösstmögliche Harmonie des Zusammenspiels erreicht ist. Ich nähere mich spielerisch Personen und Objekten an, weiche auf Grund einer wahrgenommenen Bewegung wieder zurück, ändere den Blickwinkel… Ich enthülle und verdecke – und das in einem rhythmischen Wechsel, der durch die Gegebenheiten des Moments dirigiert wird.
Ein schönes Beispiel, wie ich mit ‚visuellen Clues‘ umgehe, ist folgende Aufnahme, die wir 2012 mit dem Singer-Songwriter Michael Rosenberg (alias Passenger) in Brighton produziert haben: Bei 2:36 min dreht sich ein Mädchen zu Michael um, ich schwenke in einem kurzen Moment zuvor zu ihr, ein Auto fährt vorbei. Diese Bewegung des Autos gibt mir die Möglichkeit (fast unbemerkt) wieder zu Michael zurückzuschwenken. Alles geht fliessend ineinander über, ist Teil der Schau; die Bewegung meiner Kamera harmoniert mit der visuellen Umgebung.
Kurz darauf reagiert Michael ebenso spontan auf einen ‚Klang-Clue‘: Eine Frau spricht ihn an, ein kurzer Dialog entsteht… Auch Michael unterbricht sein Spiel nicht, er spielt lediglich ein paar weitere Akkorde, um den musikalischen Fluss nicht zu unterbrechen. Alles ist Spielball, nichts ist Fehler.
Filmen heisst volle Konzentration auf den Augenblick
Wenn Fotografie ‚ein Moment im Augenblick ist‘, ist auch Filmen ‚ein Moment im Augenblick‘ – der einzige Unterschied dabei ist, dass der Moment beim Filmen aus mehreren aneinandergereihten Momenten besteht, der Gesamtmoment also ein längerer ist. Gute Beispiele dieser langen Momentaufnahmen sind alle Musikvideos, die ich für ‚Another Lazy Sunday Productions‚ gefilmt habe. Dabei wird der eigentümliche Stil durch folgenden Spielrahmen begrenzt: Ein Komplett-Take der Live-Performance wird (durch eine Kamera und mehrere Mikros) aufgenommen und genau so wiedergegeben. D.h. es darf kein Schnitt in Bild und Ton erfolgen. Einzig der Ton wird am Ende abgemischt. Innerhalb dieser 2-4 Minuten der Performance, bewegt sich die Kamera mit Gesehenem und Gehörtem adaptiv: Meine Wahrnehmung > meine Blickbewegung > meine Kamerabewegung.
Im täglichen Leben wird Wahrnehmung durch die Begrenzung des eigenen Körpers und des Geistes ständig durchbrochen – nicht allein durch unser Augenzwinkern und unserem stetigen ‚in Gedanken‘ bzw. ’nicht-ganz-da-sein‘. Hier fordert mich das Medium Film heraus, ganz bei der Sache zu sein. Bin ich nur eine Sekunde unaufmerksam, spiegelt sich das in dem Gefilmten wider: Hier ein Verwackler, hier ein unrelevanter Kameraschwenk, hier ein verpasster zentraler Moment… Das bedeutet für mich als Kamerafrau konkret, dass ich während der Dauer der Aufnahme völlig präsent sein muss. Für diesen Moment bin ich Spiel & Spielball zugleich. Ich führe den Blick, aber lasse mich gleichzeitig durch den Blick, das Wahrgenommene führen. Ein scheinbar widersprüchlicher Augenblick, in den ich mich vollkommen versenke.